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Die Kodak Retina Reflex IV

Als ich über meine wertvollste Kamera, die Kodak Retina Reflex S meines Vaters schrieb, hatte ich versprochen sie durch weiteren fleißigen Gebrauch zu ehren. Natürlich kam was kommen musste:  als ich die Kamera eines Abends aus einem Rucksack nahm, löste sich das 50mm 2,8 Objektiv von der Kamera, fiel mit der hinteren Linsengruppe voran auf den Steinboden in der Küche und zerlegte sich in seine Einzelteile. Dabei habe ich folgendes gelernt:

  1. Vor langer Zeit hat jemand gut nachgedacht und mit viel Zeit und Geschick für die Kamera eine passende Bereitschaftstasche entwickelt. Benutzt sie.
  2. Prüft, ob alle Teile eurer Kamera fest sitzen, bevor ihr sie aus einer Tasche nehmt.
  3. Falls vorhanden, macht dies über einer weichen Oberfläche (Teppich, Bett) oder über einem Tisch. Macht es nicht über einem Steinboden 10cm neben Tisch und Teppich.
  4. Ein Schneider Kreuznach 50mm f 2,8 Objektiv kostet fast soviel wie eine Kodak Retina Reflex mit diesem Objektiv.
Obwohl ich noch ein Schneider Kreuznach 50mm f 1,7 Objektiv habe, musste trotzdem Ersatz her. Erstens weil das 2,8 deutlich kompakter ist, zweitens weil ich einen großen Satz Filter und Nahlinsen dafür habe, die praktischerweise auch auf die Kodak Retina II passen.

Als ich dann in einer Mittagspause bei “Foto Objektiv” in Berlin Kreuzberg das gesuchte Objektiv fand, hab ich sofort zugeschlagen. Der Preis für die Linse war mit 85€ zwar etwas hoch, aber an dem Objektiv hing auch noch eine Kodak Retina Reflex IV im Traumzustand dran. Und die Bereitschaftstasche gab es mit dazu…

Über die Kamera: Da ich über die Geschichte und Besonderheiten der Retina Reflex bereits im Post “Die Kodak Retina S” geschrieben habe, konzentriere ich mich hier vor allem auf die Unterschiede zwischen den beiden Kameras:

Die Retina Reflex IV wurde von 1965 bis 1967 als letzte Kodak Spiegelreflexkamera für die 135er Filmpatrone und die letzte Kamera der Retina Serie gebaut. (Ersatzteiltipp: die Objektive der letzten Kodak Spiegelreflexkamera, der Instamatic Reflex für die 126er Patrone, passen ebenfalls) Wie die Reflex S ist die Reflex IV eine manuelle Kamera mit identischem Zentralverschluss incl. Selbstauslöser und Belichtungszeiten von “B” bis 1/500. Die Belichtungsmessung erfolgt ebenfalls durch eine Selenzelle (die trotz allem was man so liest noch ausreichend exakt misst) der Blenden und Zeitenwähler sind mit der gewöhnungsbedürftigen mechanischen Programmautomatik verbunden. Darüberhinaus hat die Kamera einen Anschluss für Drahtauslöser und ein Stativ. Für das beliebte Retina Handling sorgt der Spannhebel unten an der Kamera.
Nun zu den Unterschieden:

  • Die Kamera ist durch den höheren Plastikanteil deutlich leichter geworden.
  • Der Öffnungsmechanismus wurde vereinfacht: von “Knebel drehen, dann versteckten Knopf drücken” zu “Sehr kleinen und immerhin von einem Rand geschützten Knopf drücken”
  • Der Auslöser ist jetzt rechts neben dem Objektiv
  • Der Bildzähler ist am Boden der Kamera neben dem Spannhebel
Zu diesen eher kosmetischen Änderungen kommen noch diese echten Verbesserungen, die das Fotografieren deutlich vereinfachen:
  • Aus dem Zubehörschuh wurde ein echter Hotshoe, Blitzgeräte können also ohne Adapter angeschlossen werden
  • Der Rückspulknopf wurde durch eine Kurbel ersetzt
  • Der Belichtungsmesser kann oben auf dem Gehäuse und im Sucher abgelesen werden
  • Blende und Belichtungszeit werden ebenfalls in den Sucher eingespielt
Durch die beiden letztgenannten Neuerungen lässt sich die Kamera fast wie eine moderne Spiegelreflexkamera bedienen.

Zum Fotografieren: Kamera mit dem kleinen Knopf neben dem Stativgewinde öffnen, Film einlegen, Kamera schliessen. Jetzt den kleinen Schieber oben rechts hinten zur Seite ziehen und gleichzeitig mit dem „Einstellungsrad“ bzw. der Blendenverstellung die Filmempfindlichkeit von 24 bis 3200 (!) ISO einstellen. Diese wird im runden Fenster rechts oben angezeigt. Der Bildzähler wird automatisch auf das ♦ für 36 Aufnahmen gestellt, für Filme mit 24 Aufnahmen sollte der Zähler mit dem kleinen Schieber am Boden der Kamera auf 24 gestellt werden.
Das Objektiv kann mit dem kleinen Knopf an der Unterseite des Blendenrings entriegelt und gewechselt werden. Obacht: das kann in seltenen Fällen auch unabsichtlich in einem Rucksack oder eine Tasche passieren. Der Belichtungsmesser lässt sich, wie bei der Yashica Electro 35 GT sowohl oben am Gehäuse als auch durch den Sucher ablesen. Die Einstellung der Blende und Belichtungszeit ist allerdings etwas ungewöhnlich und lässt sich als mechanische Programmautomatik mit manueller Zeitvorwahl beschreiben: Mit dem Einstellrad unten an der Objektivaufnahme wird der Zeiger des Belichtungsmesser zwischen die beiden Pfeile gebracht. Jetzt wird durch Drehung am Objektiv die gewünschte Zeit-Blenden Kombination ausgewählt. Fokussiert wird entweder über den Schnittbild Entfernungsmesser oder über die Mattscheibe. Praktisches Detail: Da mit offener Blende fokussiert wird und es keinen Hebel für die Arbeitsblende gibt, wird der Tiefenschärfe-Bereich durch zwei Zeiger am Objektiv angezeigt. Jetzt auslösen und nicht wundern: Nach jedem Bild wird es im Sucher dunkel, erst nach erneutem Spannen ist der Sucherblick wieder frei. Gespannt wird unten an der Kamera, für schnelle Serien ist die Kamera also nicht geeignet. Zur weiteren Bedienung zitiere ich mich:

Die Kamera kann mit Filmen mit einer Empfindlichkeit von 24 bis 3200 ISO arbeiten, die Blenden reichen (je nach Objektiv) von ƒ 1,9 bis 22, die Belichtungszeiten von einer bis 1/500 Sekunde, natürlich gibt es auch ein “B” Einstellung. Wenn man, wie in der Anleitung ausdrücklich erwähnt, während des Spannens den kleinen Knopf neben/im Spannhebel drückt, werden Mehrfachbelichtungen möglich. Wenn man den kleinen Knopf links vom Objektiv eindrückt kann der Zeitauslöser rechts am Objektiv eingestellt werden, dazu bringt man ihn in die Position “V”. Mit diesem Hebel wird auch der Blitzmodus von “X” für elektronische Blitzgeräte auf “M” für Blitzbirnen umgestellt. Wie ihr an der Beschreibung merkt, braucht man sehr, sehr oft beide Hände um etwas an der Kamera einzustellen.
Bei Gegenlicht kann entweder manuell ausgeglichen werden, oder der Belichtungsmesser abgedeckt werden und direkt am Motiv gemessen werden. Diese Abdeckung ging mit den Jahren leider verloren.
Für Nahaufnahmen (bis 15cm) können Nahlinsen einzeln oder kombiniert auf das 50mm Objektiv aufgesetzt werden. Werden Filter verwendet, müssen die Zeiten manuell angepasst werden, da der Belichtungsmesser nicht wie bei anderen Kameras unter dem Filter sitzt, von TTL ganz zu schweigen. 

Wenn der Film voll ist, Rückspielknopf im Spannhebel drücken, mit der Kurbel zurückspulen, Kamera entriegeln und Film entfernen.
Die Kodak Retina IV ist eine überraschend günstige Spiegelreflexkamera mit der sich, sobald man sich an die Bedienung gewöhnt hat, wunderbar Fotografieren lässt.

 

 

 

 

 

 

  

 

Marke Kodak
Kamera Kodak Retina Reflex IV
Baujahr ?, produziert von 1964 – 1967
Seriennummer 79394
Objektiv Schneider – Kreuznach Retina-Xenar 1:2.8 / 50 mm 9261894
Verschluss 35 mm Kleinbild
Filmformat 35mm
Besonderheiten
Zubehör Bereitschaftstasche
Hersteller Kodak AG, Stuttgart, Germany
Kaufdatum 2017
Preis 85 €
Wo gekauft: Foto Objektiv, Berlin

Tipps & Tricks: Der wichtigste Tipp zuerst: passt auf die Kamera auf, denn Reparaturen sind fast nicht möglich oder wirtschaftlich sinnvoll. Falls eure Retina defekt ist findet ihr bei http://retinarescue.com/ Reparaturanleitungen. Wenn die Kamera  einen hohen ideellen Wert für euch hat und vor Ort keine Reparatur möglich ist, nimmt Chris Sherlock auch Kameras zur Reparatur an.

Filmkauf & Entwicklung: Die Kamera kann mit allen verfügbaren Kleinbildfilmen von 10 bis 3200 ISO arbeiten. Wenn ihr also endlich mal Konzertfotos mit T-Max 3200 machen wolltet, das ist eure Kamera. Außerdem solltet ihr wenigstens einmal mit feinkörnigen 100 ASA schwarzweiß Film fotografieren, wenn ihr die Schärfe der Objektive ausprobieren möchtet.

Weiterführende Links:
http://blog.jimgrey.net/2013/10/18/kodak-retina-reflex-iv/ (Jim Greys Bericht über die Kodak Retina Reflex IV der mir vor dem Kauf wieder einfiel)
http://retinarescue.com/retinareflex4type051.html (Reparaturanleitung und Reparatur)
http://www.mikeeckman.com/2017/06/kodak-retina-reflex-iv-1964/ (Mike Eckman finder die Resultate der Kamera super, die Kamera aber leider nich so sehr)
http://www.butkus.org/chinon/kodak/kodak_retina_reflex_iv/kodak_retina_reflex_iv.htm (englische Anleitung bei Mike Butkus)

Bilder:
Meine Bilder auf Flickr

English Version

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